Worum geht es bei den französischen Präsidentschaftswahlen?
Die französische Unisono-Presse, die – wie die hiesige – in Wirklichkeit viel mehr mit Suggestion und Nachrichtenunterdrückung arbeitet als mit offenen Lügen*, beantwortet diese Frage plakativ etwa mit folgender Grafik, die sofort nach dem ersten Wahlgang auf der ersten Seite von Le Monde unter der fetten Überschrift »Macron – Le Pen: Mehr Ungewißheit denn je im zweiten Wahlgang« prangte:
Der Leser, sofern genügend suggestibel, versteht sofort den Ernst der Lage: Seit dem ersten Wahlgang am 10. April ist halb Frankreich von der braunen Flut (= Gebiete mit den meisten Stimmen für Le Pen) überrollt, die im zweiten Wahlgang, am nächsten Sonntag, das im freundlichen Orange leuchtende Terrain der »Demokratie« (= Gebiete mit den meisten Stimmen für Macron) zu begraben droht. Die einzige Rettung: das warme Rot (= Gebiete mit den meisten Stimmen für den »Linken«-Führer Mélenchon) muß in der zweiten Runde ebenfalls zum farblich doch so nahen Orange werden, und dann leuchtet wieder ganz Frankreich im warmen Orangeton der »Demokratie«. Le Monde’s gleich daneben abgedruckter Leitartikel mit dem mahnenden Titel »Eine historische Verantwortung« sagt’s in Worten: »Zum dritten Mal in zwanzig Jahren wird die extreme Rechte am Sonntag, den 24. April, im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vertreten sein, in der es eine Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron geben wird. (...) Seit den Anfängen der Fünften Republik haben sich wenige zweite Runden der Präsidentschaftswahl als derart knapp angekündigt. Seit dem Jahr 2002, als Jacques Chirac mit 82 % [gegen Jean-Marie Le Pen] gewann, ist die Marge, die unsere Demokratie schützt [sic], immer weiter zusammengeschmolzen. (...) Jetzt aber gilt es, dem Dringlichsten zu begegnen und sich ohne Wenn und Aber der Gefahr entgegenzustemmen, die immer größer wird. Eine Reihe der unterlegenen Kandidaten haben sich am Sonntagabend verschiedener Worte bedient, um ihrem Widerstand gegen Marine Le Pen Ausdruck zu geben. Nach Auffassung von Le Monde darf es bei dieser Zurückweisung der extremen Rechten keinerlei Zweideutigkeit geben. (...) Die Wahl von Marine Le Pen zur Präsidentin der Republik bedeutete einen Angriff auf den Rechtsstaat, einen Rückschritt bei der Bewältigung der Klimakatastrophe, eine Umstellung unserer außenpolitischen Bündnisse zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, nämlich in dem Moment, in dem der grauenhafte Krieg Wladimir Putins endgültig das wahre Wesen eines Regimes entlarvt hat, dem die Kandidatin so viel Gefälligkeit entge-gengebracht hat. Logisch zwingend bedeutet dies, daß die einzige wirksame Möglichkeit, ihr eine Niederlage zu bereiten, in der Wahl von Emmanuel Macron besteht. Dies stellt den amtierenden Präsidenten vor eine historische Verantwortung: in zwei Wochen eine Gefahr einzudämmen, die seine zu Ende gehende fünfjährige Amtszeit – nach seinem ei-genen Eingeständnis – nicht zurückzudrängen vermochte.« Usw. usf.
In einem Satz gesagt, laut Lügenpresse besteht die einzige Chance, die französische Demokratie zu retten, darin, am nächsten Sonntag für Macron zu stimmen. Hier nochmals kurz die Ergebnisse der ersten Runde: Macron ist aus dem ersten Wahlgang als stärkster Kandidat mit 27,6 % der abgegebenen Stimmen hervorgegangen, Marine Le Pen mit 23,41 % als zweite und mit 21,95 % nur knapp hinter ihr als dritter Jean-Luc Mélenchon, der Vorsitzende der mit der deutschen »Linken« vergleichbaren Partei La France Insoumise. Den vierten Platz im ersten Wahlgang erreichte mit 7,05 % Eric Zemmour, vorher nur ein langjähriger Figaro- und Fernsehjournalist, aber seit wenigen Monaten plötzlich ein von Presse und Glotze gehypter Präsidentschaftskandidat mit ähnlichem Programm wie Le Pen. Demgegenüber sind die Kandidaten der beiden klassischen französischen Parteien, also der Republikaner (unserer CDU vergleichbar) und der Sozialistischen Partei, am 10. April mit Ergebnissen jeweils unter 5 % weit zurückgefallen, und auch der Kandidat der Grünen, in Frankreich noch nie bedeutend, blieb knapp unter 5 %. Nach diesen Ergebnissen hängt nun der endgültige Wahlausgang am nächsten Sonntag vor allem davon ab, zu welchen Teilen das stattliche Kontingent der Mélenchon-Wähler in der zweiten Runde für Macron oder für Le Pen stimmen oder aber sich der Stimmabgabe enthalten wird – dieses Kontingent ist deshalb so groß, weil sich in ihm alle gesammelt haben, die auf keinen Fall nochmals Macron wollen, sich aber pressetreu nicht trauten, vermeintlich »rechts«, gar »rechtsextremistisch« zu wählen. Mélenchon selbst gab ihnen freilich schon am Abend des ersten Wahlgangs eine klare Linie vor, nämlich dieselbe wie die gerade zitierte der Unisono-Presse. In seiner Rede vor seinen in Paris versammelten Anhängern wiederholte er nicht weniger als viermal: »Keine Stimme für Le Pen!«. Er vermied es zwar, sie überdies ausdrücklich zur Wahl von Macron aufzurufen, aber schickte hinter ihrem Rücken noch am selben Abend direkt an Macron folgende SMS: »Ich habe klar Position gegen Le Pen bezogen. Jetzt ist es an Ihnen, eindeutige Signale an unsere Wähler zu sen-den, damit sie in Bewegung kommen können.« Auch Mélenchons Begründung, warum er nun offen als Macrons Steigbügelhalter agiert, ist natürlich dieselbe wie der gerade zitierte Pressetenor: Jetzt gehe es darum, einen Damm gegen die »extreme Rechte« zu errichten. Und mit genau derselben Begründung riefen ebenso die meisten anderen Kandidaten zur Stimmabgabe für Macron in der zweiten Runde auf, so Valérie Pécresse (Republikaner), Anne Hidalgo (Sozialistische Partei) Yannick Jadot (Grüne), Fabien Roussel (PCF [!]) und noch andere; nur der erwähnte Ex-Journalist Zemmour und der hochgeachtete Führer einer der kleineren konservativen Parteien, Nicolas Dupont-Aignan, riefen zur Stimmabgabe für Le Pen auf**.
Auch ohne nähere Analyse entsteht schon damit der Eindruck: In Frankreich weht seit dem vorletzten Sonntag plötzlich ein kräftiger Hauch der gleichen Stimmung wie vor der letzten US-Wahl: der Sieg der von der gesamten Presse verteufelten und bespeiten Kandidatin soll nicht weniger als das Ende der französischen Demokratie bedeuten... Aber steigen wir nun doch ein wenig in die Analyse ein und lassen dafür die Umstände der letzten Präsidentenwahl vor fünf Jahren und den Verlauf der fünfjährigen Amtszeit Macrons nochmals Revue passieren:
Macron, vorher nur ein farbloser Banker und Regierungsfunktionär, war als erfolgreicher Präsidentschaftskandidat im Jahr 2017 ein reines Geschöpf der Presse gewesen, zusätzlich angefüttert durch Riesenspenden von Großkonzernen. Allein die Presse und Millionenspenden hatten ihn binnen Monaten zum charismatischen Führer einer auf demselben Wege aus dem Nichts geschaffenen neuen Partei (La République en marche, LREM) aufgebaut, den beliebten Republikaner-Chef Fillon, der Macrons Senkrechtstart im Wege gestanden hätte, hatte die Presse kurz vor der Wahl durch eine aufgebauschte Korrupti-onsaffäre extra noch abgesägt, und nur so konnte statt Fillon seinerzeit Macron in die zweite Wahlrunde gegen Le Pen gelangen und darin diese sogar aus dem Feld schlagen. Infolge des höchst undemokratischen französischen Mehrheitswahlrechts konnte man Macron bei den kurz später stattfindenden Parlamentswahlen durch dieselbe Pressepropaganda sogar noch eine absolute Mehrheit seiner Retortenpartei LREM in der Nationalversammlung verschaffen, und so war er plötzlich zu Frankreichs Präsidenten aufgestiegen, und sogar zu einem, der die Abgeordneten seiner völlig künstlichen und darum von ihm völlig abhängigen Partei so ungeniert herumkommandieren konnte wie ein Monarch seinen Hofstaat.
Als er sie beispielsweise im Sommer 2019 zur Ratifizierung des berüchtigten europäisch-kanadischen Knebelabkommens CETA zwang, obwohl ihnen deswegen zuhause in ihren Wahlkreisen die dadurch ruinierten französischen Bauern buchstäblich die Scheiben einwarfen (es gab Demolierungen von LREM-Wahlkreisbüros, und in jenem Sommer warfen französische Bauern sogar mehrere LREM-Abgeordnete sehr handfest aus einer Landwirtschaftsmesse heraus), war etwa in der französischen Presse zu lesen: »Wenn das Mikrofon abgeschaltet ist, geben manche Abgeordnete der Regierungsmehrheit ein ›Gefühl der Überflüssigkeit‹ zu und lassen ihrer Frustration freien Lauf. ›Man schei*** auf uns‹, klagt ein Parlamentarier, ›in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode müssen wir uns besser behaupten, sonst nimmt es ein böses Ende‹« (Figaro, 25.7.2019). Aber so sehr Macron, wenn er CETA und vieles ähnliches gegen den Widerstand des Volkes durchdrückte, als selbstherrlicher Autokrat erschien, blieb er doch stets eine bloße Marionette der Presse, d.h. aber der dieselbe im Westblock besitzenden und steuernden Kreise, und dies sind heute in letzter Instanz nicht mehr noch so reiche französische Konzernherren wie Bernard Arnauld oder die Rothschilds, sondern allein die noch weitaus mächtigeren und reicheren Kreise der US-Monopolisten unter Führung von Soros, Rockefeller und Gates. Deren Programm für Europa sollte Macron durchführen, und es lautete: Zerstörung der Errungenschaften der europäischen Arbeiterbewegung und Krieg gegen Rußland.
Mit diesem Programm machte Macron auch sofort Ernst: Schon im Sommer 2017 ließ er etwa durch seine frischgebackene Parlamentsmehrheit das Arbeitsgesetzbuch ummodeln, um den Unternehmen die Oktroyierung niedrigerer Löhne und einseitige (!) Änderungen schon abgeschlossener Arbeitsverträge zu ermöglichen, wodurch natürlich die Arbeitszeit stieg, nicht aber die Löhne. Auch den Ausverkauf des französischen Volksvermögens, d.h. die Privatisierung der französischen Staatsunternehmen, ließ er unverzüglich anlaufen: Schon 2018 brach er einen wochenlangen, erbitterten Eisenbahnerstreik und setzte die Privatisierung der SNCF durch. Natürlich befeuerte seine Regierung zugleich die Lohndrückerimporte und ließ allein 2018 über eine Viertelmillion neue Aufenthaltserlaubnisse für Immigranten ausstellen; falsche Flüchtlinge und Familiennachzug waren willkommen. Auch den Krieg gegen die Mobilität des Volkes vergaß er nicht: schon im ersten Amtsjahr erhob er für den »Klimaschutz« so hohe Steuerzuschläge auf den Spritpreis, daß Benzin für viele unbezahlbar wurde. Nicht minder rastlos trieb er seine ministeriellen Arbeitsstäbe an, die Heraufsetzung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre sowie die Zerschlagung der noch etwas besseren Rentensysteme für einzelne Berufsgruppen vorzubereiten.
Als kostenlose Zugabe bot er dem Volk die Arroganz der Macht: Während er in Versailles glamouröse Empfänge für ausländische Konzernherren ausrichten ließ und für US-Milliardäre wie Gates oder Zuckerberg immer Zeit für ein Stelldichein unter vier Augen hatte, machte er aus seiner Verachtung für das einfache Volk kein Hehl: Einem Arbeitslosen, der sich bei einem Gartenfest im Elysée-Palast, zu dem man huldvoll auch einige Durchschnittsbürger eingeladen hatte, bei ihm über seine hoffnungslose Lage beklagte, entgegnete er herablassend nur »Schauen Sie mal, ich brauche doch nur über die Straße zu gehen, und schon finde ich Arbeit«, was der Volksmund humorvoll, aber nicht ohne Entrüstung mit der Scherzfrage parierte: »Wenn ich nachts im Dunkeln über die Straße gehe, finde ich dann Schwarzarbeit?« Und die gleiche Verachtung wie für das Volk zeigte er, wie schon angeklungen, für das Parlament: Seine Regierungsfraktion mußte ihm in bis dahin ungekanntem Ausmaß die in der autoritären französischen Verfassung vorgesehenen Verordnungsbefugnisse übertragen, damit er grundlegende Rechtsnormen statt durch Gesetz einfach per Verordnung erlassen konnte, was später auch die Unisono-Presse einmal zugeben mußte (Figaro, 10.2.2020): »Im Juli 2017 eröffnete Emmanuel Macron seine Amtszeit mit einem Gesetzesvorhaben, das ausschließlich aus Verordnungen zur Reform des Arbeitsgesetzbuches bestand. Im Verlauf von zwei Jahren ist dieses Verfahren, das die Exekutive zu Maßnahmen ermächtigt, die normalerweise dem Parlament zustehen und damit die Abgeordneten eines Teils ihrer Befugnisse beraubt, zu einem Markenzeichen der Macht geworden. ›Ich habe niemals eine Regierung gesehen, die in einem solchen Umfang Gesetzgebung per Verordnung betrieben hat‹, erklärte alarmiert Francis Vercamer, seit 2002 Abgeordneter für das Departement Nord.«
Aber mit alledem hatte Macron den Bogen überspannt, und anderthalb Jahre nach seiner Amtseinführung brach in Frankreich ein seit 1945 beispielloser Volksaufstand los, der ohne den inzwischen viel höheren Stand der Militärtechnik seine Regierung so mühelos hinweggefegt hätte wie einst die Revolutionen von 1830 oder 1848 die damaligen Regierungen: am 17.11.2018 gingen über eine Million Franzosen auf die Straße, liefen in Massen auf ihre Autobahnen und öffneten die Mautstationen, besetzten zahllose Verkehrskreisel und drangen friedlich in die Amtssitze von Präfekten ein, räumten unwiderstehlich die Polizeisperren vor den Champs Elysées zur Seite und wälzten sich als ein riesiger Demonstrationszug direkt an Macrons Amtspalast vorbei durch die Pariser Prachtallee. Die Volksbewegung der Gelbwesten hatte begonnen, und mit ihr ein neuer, ebenfalls etwa eineinhalb Jahre währender Abschnitt in Macrons Amtszeit: sein blutiger, paramilitärischer, offener Krieg gegen das Volk... Zum vollständigen Artikel als PDF
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* Diese sind sozusagen nur ihr sparsamer eingesetztes »schweres Geschütz«, so wie jüngstens z.B. im Fall Butscha (vgl. dazu unseren Online-Beitrag vom 13.4.2022).
** Außerdem natürlich der ebenso achtbare Oppositionspolitiker François Asselineau (UPR), der aber unter schweinischen rechtlichen Vorwänden an einer Kandidatur gehindert wurde (s. dazu unten).